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» Kategorie: Rezensionen
Rezensent: Florian Drechsel "fdrechsel@despammed.com"
Titel: Schlaf und Strecke
Autor: Günter Herburger
Jahr, Verlag, Ort: A1 Verlag München, 2004
ISBN: 3-927743-74-7 |
Diese Rezension passt wohl nur bedingt in die bisherigen Rezensionen auf
www.drsl.de - hier geht es eher um Literatur als um Training. Aber wenn Joschka darf, dann Herburger auch.
Herburgers Birne-Bücher (Birne brennt durch und andere) waren 70er-Jahre-Bücher meiner Kindheit, mittlerweile ist der Mann 72 Jahre alt und läuft seit 1983 Marathons und Ultras, schreibt darüber und lebt davon.
Wieder auf Herburger aufmerksam geworden bin ich durch ein SZ-Interview mit ihm, das ich ziemlich sympathisch, einigermaßen durchgeknallt und völlig drsl-inkompatibel fand. Inkompatibel zur Beschäftigung mit dem Laufen unter dem Aspekt von PB, Splits, Schuhen, HFmax, Training, VWKGJ und all dem was drsl* so abwechslungsreich macht.
"Schlaf und Strecke" ist der dritte Band mit Herburgers Laufberichten nach "Lauf und Wahn" (1988) und "Traum und Bahn" (1994), beide leider vergriffen. Der aktuelle Band enthält ca. 30 Laufberichte von Läufen zwischen Riga und Durban, zwischen Los Angeles und La Réunion.
Je nun. Der läuft und schreibt darüber. Das tun wir hier ja auch. Der schreibt Laufberichte, einen nach dem anderen. (Das werd ich auch tun, wenn ich mal meinen ersten WK gelaufen bin, versprochen.) Herburger benutzt leider nicht die drsl-Template, es wird manchmal, aber längst nicht immer, wenigstens die Länge des Laufes im Text erwähnt; mit seinen eigenen Zeiten ist der Verfasser noch bescheidener, sie stehen selten mal irgendwo in Klammern am Ende eines Textes.
Ähnlich wenig Aufhebens wird gemacht um "Training" oder "passendes Schuhwerk". Dazu ein Zitat, so ungefähr eines der technischsten in dem Buch- weil es eben mal um Schuhe geht:
"Wir holperten durch Straßen, die in der Hitze leicht anzusteigen schienen. Meine Schuhe waren zu eng, begannen zu scheuern. Nachdem ich einen Barfußläufer überholt hatte, zog ich sie aus und gab sie ihm, denn junge Amerikaner, die Prospekte einer christlichen Sekte an das Publikum verteilten, trugen sportliche Markenartikel an den Füßen, und einer der Büßer war, als er mich in Socken sah, erfreut, mir seine Schuhe schenken zu dürfen, die genügend Raum boten für quellendes Gedeihen." (aus: Riga, 4:28:25)
Dagegen gibt es einen Fluß von Poesie der entrückteren und bisweilen - zugegeben - leicht überspannten Sorte. Da wird gegen Depressionen an- oder vor ihnen davongelaufen, da gibt es einiges an Licht und auch sehr viel Dunkelheit, wirkliche und seelische. Da werden 7-Tages-Läufe mal eben abgebrochen, weil sie plötzlich unwichtig werden.
Herburger läuft über Ermüdungsbrüche drüber, daß es eine Freude ist. Da rennt einer wunderbar farbig schildernd durch Südafrika und beschreibt den Schlußspurt dann so:
"Kapellen musizierten, Glocken läuteten, Zimbeln und Maultrommeln ertönten. Immer mehr Läufer, wieder auferstanden, rückten zusammen, sich gegenseitig stützend und anfeuernd. Unruhe griff um sich, Hast brandete voran, die mitriss, während unerwartet afrikanische Nacht über die heillose Herde fiel, noch einen Hang hinunter und durch von vielen Füßen getretenen Grassumpf stampfend, Erschöpfte im Schlepp oder getragen, schließlich gegen ein Gittertor prallte, hinter dem mit verschränkten Armen uniformierte Wächter sich aufgepflanzt hatten. Dort hingen und knieten wir, flehten um Einlass. Unerbittlich war nach elf Stunden um fünf Uhr abends das Ziel geschlossen worden." (aus: Durban, 87km)
Langstreckenlauf als Übung in Vergeblichkeit. Kein Triumph, nirgends. Heldentum oder Leistung irgendeiner unpoetischen Art auch nicht. Selbstbeweihräucherung erst recht nicht, aber auch kein Selbstmitleid. Hier wird gelaufen, weil gelaufen werden muß, damit einer das Leben aushält, auf der Jagd nach "dem begehrenswerten Zustand einer Verschmelzung von Körper und Geist", wie der Klappentext etwas gequollen sagt. (_Das_ kann man ja auch einfacher haben: siehe [1]
Am nächsten kommt er diesem Ziel bei der Beschreibung seiner Wüstenläufe: "Der Sänderlauf" über den M. des Sables, "Petra" und "Sinai".
Auch wenn Herburger seinen Leser des öfteren mäandrierend abhängt - ich finde es faszinierend, wie jemand das Laufen eben so aufs Laufen reduzieren kann. Mir selbst fällt ja der Verzicht auf die (Puls-)Uhr schon schwer.
Die Geschichten entwickeln einen ziemlichen Sog, atmosphärisch hochverdichtet, fesselnd zu lesen, wenn man sich drauf einläßt und Herburger nicht ohnehin gleich als halluzinierenden Ultrakranken oder arme, getriebene Sau abstempelt. Nicht ganz leichte Kost, aber lesenswert.
Wer neugierig geworden ist, möge sich das Buch in der Buchhandlung seines Vertrauens zur Ansicht bestellen und zB das Kapitel "Durban" mal sorgfältig probelesen - Herburgers Stil ist sicher nicht jedermanns Sache, denn er ist manchmal /schon/ anstrengend. Etwas mehr Lektorat hätte dem Buch vielleicht nicht geschadet.
Wer zufällig noch ein Exemplar der Bände "Lauf und Wahn" oder "Traum und Bahn" im Regal stehen hat und es gerne loswerden möchte, der maile mir.
fdrechsel
despammed
com
erstellt 14.06.2005 21:07 von DerVerfolgte
zuletzt 16.09.2005 08:06 von DerVerfolgte | Historie | Versionen
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2005-09-16 08:06:33 : Schlaf_und_Strecke : von DerVerfolgte [admin:restore]
Rezensent: Florian Drechsel "fdrechsel@despammed.com"
Titel: Schlaf und Strecke
Autor: Günter Herburger
Jahr, Verlag, Ort: A1 Verlag München, 2004
ISBN: 3-927743-74-7 |
Diese Rezension passt wohl nur bedingt in die bisherigen Rezensionen auf www.drsl.de - hier geht es eher um Literatur als um Training. Aber wenn Joschka darf, dann Herburger auch.
Herburgers Birne-Bücher (Birne brennt durch und andere) waren 70er-Jahre-Bücher meiner Kindheit, mittlerweile ist der Mann 72 Jahre alt und läuft seit 1983 Marathons und Ultras, schreibt darüber und lebt davon.
Wieder auf Herburger aufmerksam geworden bin ich durch ein SZ-Interview mit ihm, das ich ziemlich sympathisch, einigermaßen durchgeknallt und völlig drsl-inkompatibel fand. Inkompatibel zur Beschäftigung mit dem Laufen unter dem Aspekt von PB, Splits, Schuhen, HFmax, Training, VWKGJ und all dem was drsl* so abwechslungsreich macht.
"Schlaf und Strecke" ist der dritte Band mit Herburgers Laufberichten nach "Lauf und Wahn" (1988) und "Traum und Bahn" (1994), beide leider vergriffen. Der aktuelle Band enthält ca. 30 Laufberichte von Läufen zwischen Riga und Durban, zwischen Los Angeles und La Réunion.
Je nun. Der läuft und schreibt darüber. Das tun wir hier ja auch. Der schreibt Laufberichte, einen nach dem anderen. (Das werd ich auch tun, wenn ich mal meinen ersten WK gelaufen bin, versprochen.) Herburger benutzt leider nicht die drsl-Template, es wird manchmal, aber längst nicht immer, wenigstens die Länge des Laufes im Text erwähnt; mit seinen eigenen Zeiten ist der Verfasser noch bescheidener, sie stehen selten mal irgendwo in Klammern am Ende eines Textes.
Ähnlich wenig Aufhebens wird gemacht um "Training" oder "passendes Schuhwerk". Dazu ein Zitat, so ungefähr eines der technischsten in dem Buch- weil es eben mal um Schuhe geht:
"Wir holperten durch Straßen, die in der Hitze leicht anzusteigen schienen. Meine Schuhe waren zu eng, begannen zu scheuern. Nachdem ich einen Barfußläufer überholt hatte, zog ich sie aus und gab sie ihm, denn junge Amerikaner, die Prospekte einer christlichen Sekte an das Publikum verteilten, trugen sportliche Markenartikel an den Füßen, und einer der Büßer war, als er mich in Socken sah, erfreut, mir seine Schuhe schenken zu dürfen, die genügend Raum boten für quellendes Gedeihen." (aus: Riga, 4:28:25)
Dagegen gibt es einen Fluß von Poesie der entrückteren und bisweilen - zugegeben - leicht überspannten Sorte. Da wird gegen Depressionen an- oder vor ihnen davongelaufen, da gibt es einiges an Licht und auch sehr viel Dunkelheit, wirkliche und seelische. Da werden 7-Tages-Läufe mal eben abgebrochen, weil sie plötzlich unwichtig werden.
Herburger läuft über Ermüdungsbrüche drüber, daß es eine Freude ist. Da rennt einer wunderbar farbig schildernd durch Südafrika und beschreibt den Schlußspurt dann so:
"Kapellen musizierten, Glocken läuteten, Zimbeln und Maultrommeln ertönten. Immer mehr Läufer, wieder auferstanden, rückten zusammen, sich gegenseitig stützend und anfeuernd. Unruhe griff um sich, Hast brandete voran, die mitriss, während unerwartet afrikanische Nacht über die heillose Herde fiel, noch einen Hang hinunter und durch von vielen Füßen getretenen Grassumpf stampfend, Erschöpfte im Schlepp oder getragen, schließlich gegen ein Gittertor prallte, hinter dem mit verschränkten Armen uniformierte Wächter sich aufgepflanzt hatten. Dort hingen und knieten wir, flehten um Einlass. Unerbittlich war nach elf Stunden um fünf Uhr abends das Ziel geschlossen worden." (aus: Durban, 87km)
Langstreckenlauf als Übung in Vergeblichkeit. Kein Triumph, nirgends. Heldentum oder Leistung irgendeiner unpoetischen Art auch nicht. Selbstbeweihräucherung erst recht nicht, aber auch kein Selbstmitleid. Hier wird gelaufen, weil gelaufen werden muß, damit einer das Leben aushält, auf der Jagd nach "dem begehrenswerten Zustand einer Verschmelzung von Körper und Geist", wie der Klappentext etwas gequollen sagt. (_Das_ kann man ja auch einfacher haben: siehe [1] Am nächsten kommt er diesem Ziel bei der Beschreibung seiner Wüstenläufe: "Der Sänderlauf" über den M. des Sables, "Petra" und "Sinai".
Auch wenn Herburger seinen Leser des öfteren mäandrierend abhängt - ich finde es faszinierend, wie jemand das Laufen eben so aufs Laufen reduzieren kann. Mir selbst fällt ja der Verzicht auf die (Puls-)Uhr schon schwer.
Die Geschichten entwickeln einen ziemlichen Sog, atmosphärisch hochverdichtet, fesselnd zu lesen, wenn man sich drauf einläßt und Herburger nicht ohnehin gleich als halluzinierenden Ultrakranken oder arme, getriebene Sau abstempelt. Nicht ganz leichte Kost, aber lesenswert.
Wer neugierig geworden ist, möge sich das Buch in der Buchhandlung seines Vertrauens zur Ansicht bestellen und zB das Kapitel "Durban" mal sorgfältig probelesen - Herburgers Stil ist sicher nicht jedermanns Sache, denn er ist manchmal /schon/ anstrengend. Etwas mehr Lektorat hätte dem Buch vielleicht nicht geschadet.
Wer zufällig noch ein Exemplar der Bände "Lauf und Wahn" oder "Traum und Bahn" im Regal stehen hat und es gerne loswerden möchte, der maile mir.
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Autor: Günter Herburger
Jahr, Verlag, Ort: A1 Verlag München, 2004
ISBN: 3-927743-74-7 |
Diese Rezension passt wohl nur bedingt in die bisherigen Rezensionen auf www.drsl.de - hier geht es eher um Literatur als um Training. Aber wenn Joschka darf, dann Herburger auch.
Herburgers Birne-Bücher (Birne brennt durch und andere) waren 70er-Jahre-Bücher meiner Kindheit, mittlerweile ist der Mann 72 Jahre alt und läuft seit 1983 Marathons und Ultras, schreibt darüber und lebt davon.
Wieder auf Herburger aufmerksam geworden bin ich durch ein SZ-Interview mit ihm, das ich ziemlich sympathisch, einigermaßen durchgeknallt und völlig drsl-inkompatibel fand. Inkompatibel zur Beschäftigung mit dem Laufen unter dem Aspekt von PB, Splits, Schuhen, HFmax, Training, VWKGJ und all dem was drsl* so abwechslungsreich macht.
"Schlaf und Strecke" ist der dritte Band mit Herburgers Laufberichten nach "Lauf und Wahn" (1988) und "Traum und Bahn" (1994), beide leider vergriffen. Der aktuelle Band enthält ca. 30 Laufberichte von Läufen zwischen Riga und Durban, zwischen Los Angeles und La Réunion.
Je nun. Der läuft und schreibt darüber. Das tun wir hier ja auch. Der schreibt Laufberichte, einen nach dem anderen. (Das werd ich auch tun, wenn ich mal meinen ersten WK gelaufen bin, versprochen.) Herburger benutzt leider nicht die drsl-Template, es wird manchmal, aber längst nicht immer, wenigstens die Länge des Laufes im Text erwähnt; mit seinen eigenen Zeiten ist der Verfasser noch bescheidener, sie stehen selten mal irgendwo in Klammern am Ende eines Textes.
Ähnlich wenig Aufhebens wird gemacht um "Training" oder "passendes Schuhwerk". Dazu ein Zitat, so ungefähr eines der technischsten in dem Buch- weil es eben mal um Schuhe geht:
"Wir holperten durch Straßen, die in der Hitze leicht anzusteigen schienen. Meine Schuhe waren zu eng, begannen zu scheuern. Nachdem ich einen Barfußläufer überholt hatte, zog ich sie aus und gab sie ihm, denn junge Amerikaner, die Prospekte einer christlichen Sekte an das Publikum verteilten, trugen sportliche Markenartikel an den Füßen, und einer der Büßer war, als er mich in Socken sah, erfreut, mir seine Schuhe schenken zu dürfen, die genügend Raum boten für quellendes Gedeihen." (aus: Riga, 4:28:25)
Dagegen gibt es einen Fluß von Poesie der entrückteren und bisweilen - zugegeben - leicht überspannten Sorte. Da wird gegen Depressionen an- oder vor ihnen davongelaufen, da gibt es einiges an Licht und auch sehr viel Dunkelheit, wirkliche und seelische. Da werden 7-Tages-Läufe mal eben abgebrochen, weil sie plötzlich unwichtig werden.
Herburger läuft über Ermüdungsbrüche drüber, daß es eine Freude ist. Da rennt einer wunderbar farbig schildernd durch Südafrika und beschreibt den Schlußspurt dann so:
"Kapellen musizierten, Glocken läuteten, Zimbeln und Maultrommeln ertönten. Immer mehr Läufer, wieder auferstanden, rückten zusammen, sich gegenseitig stützend und anfeuernd. Unruhe griff um sich, Hast brandete voran, die mitriss, während unerwartet afrikanische Nacht über die heillose Herde fiel, noch einen Hang hinunter und durch von vielen Füßen getretenen Grassumpf stampfend, Erschöpfte im Schlepp oder getragen, schließlich gegen ein Gittertor prallte, hinter dem mit verschränkten Armen uniformierte Wächter sich aufgepflanzt hatten. Dort hingen und knieten wir, flehten um Einlass. Unerbittlich war nach elf Stunden um fünf Uhr abends das Ziel geschlossen worden." (aus: Durban, 87km)
Langstreckenlauf als Übung in Vergeblichkeit. Kein Triumph, nirgends. Heldentum oder Leistung irgendeiner unpoetischen Art auch nicht. Selbstbeweihräucherung erst recht nicht, aber auch kein Selbstmitleid. Hier wird gelaufen, weil gelaufen werden muß, damit einer das Leben aushält, auf der Jagd nach "dem begehrenswerten Zustand einer Verschmelzung von Körper und Geist", wie der Klappentext etwas gequollen sagt. (_Das_ kann man ja auch einfacher haben: siehe [1] Am nächsten kommt er diesem Ziel bei der Beschreibung seiner Wüstenläufe: "Der Sänderlauf" über den M. des Sables, "Petra" und "Sinai".
Auch wenn Herburger seinen Leser des öfteren mäandrierend abhängt - ich finde es faszinierend, wie jemand das Laufen eben so aufs Laufen reduzieren kann. Mir selbst fällt ja der Verzicht auf die (Puls-)Uhr schon schwer.
Die Geschichten entwickeln einen ziemlichen Sog, atmosphärisch hochverdichtet, fesselnd zu lesen, wenn man sich drauf einläßt und Herburger nicht ohnehin gleich als halluzinierenden Ultrakranken oder arme, getriebene Sau abstempelt. Nicht ganz leichte Kost, aber lesenswert.
Wer neugierig geworden ist, möge sich das Buch in der Buchhandlung seines Vertrauens zur Ansicht bestellen und zB das Kapitel "Durban" mal sorgfältig probelesen - Herburgers Stil ist sicher nicht jedermanns Sache, denn er ist manchmal /schon/ anstrengend. Etwas mehr Lektorat hätte dem Buch vielleicht nicht geschadet.
Wer zufällig noch ein Exemplar der Bände "Lauf und Wahn" oder "Traum und Bahn" im Regal stehen hat und es gerne loswerden möchte, der maile mir.
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2005-09-16 08:05:42 : Schlaf_und_Strecke : von DerVerfolgte [admin:restore]
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Titel: Schlaf und Strecke
Autor: Günter Herburger
Jahr, Verlag, Ort: A1 Verlag München, 2004
ISBN: 3-927743-74-7 |
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Herburgers Birne-Bücher (Birne brennt durch und andere) waren 70er-Jahre-Bücher meiner Kindheit, mittlerweile ist der Mann 72 Jahre alt und läuft seit 1983 Marathons und Ultras, schreibt darüber und lebt davon.
Wieder auf Herburger aufmerksam geworden bin ich durch ein SZ-Interview mit ihm, das ich ziemlich sympathisch, einigermaßen durchgeknallt und völlig drsl-inkompatibel fand. Inkompatibel zur Beschäftigung mit dem Laufen unter dem Aspekt von PB, Splits, Schuhen, HFmax, Training, VWKGJ und all dem was drsl* so abwechslungsreich macht.
"Schlaf und Strecke" ist der dritte Band mit Herburgers Laufberichten nach "Lauf und Wahn" (1988) und "Traum und Bahn" (1994), beide leider vergriffen. Der aktuelle Band enthält ca. 30 Laufberichte von Läufen zwischen Riga und Durban, zwischen Los Angeles und La Réunion.
Je nun. Der läuft und schreibt darüber. Das tun wir hier ja auch. Der schreibt Laufberichte, einen nach dem anderen. (Das werd ich auch tun, wenn ich mal meinen ersten WK gelaufen bin, versprochen.) Herburger benutzt leider nicht die drsl-Template, es wird manchmal, aber längst nicht immer, wenigstens die Länge des Laufes im Text erwähnt; mit seinen eigenen Zeiten ist der Verfasser noch bescheidener, sie stehen selten mal irgendwo in Klammern am Ende eines Textes.
Ähnlich wenig Aufhebens wird gemacht um "Training" oder "passendes Schuhwerk". Dazu ein Zitat, so ungefähr eines der technischsten in dem Buch- weil es eben mal um Schuhe geht:
"Wir holperten durch Straßen, die in der Hitze leicht anzusteigen schienen. Meine Schuhe waren zu eng, begannen zu scheuern. Nachdem ich einen Barfußläufer überholt hatte, zog ich sie aus und gab sie ihm, denn junge Amerikaner, die Prospekte einer christlichen Sekte an das Publikum verteilten, trugen sportliche Markenartikel an den Füßen, und einer der Büßer war, als er mich in Socken sah, erfreut, mir seine Schuhe schenken zu dürfen, die genügend Raum boten für quellendes Gedeihen." (aus: Riga, 4:28:25)
Dagegen gibt es einen Fluß von Poesie der entrückteren und bisweilen - zugegeben - leicht überspannten Sorte. Da wird gegen Depressionen an- oder vor ihnen davongelaufen, da gibt es einiges an Licht und auch sehr viel Dunkelheit, wirkliche und seelische. Da werden 7-Tages-Läufe mal eben abgebrochen, weil sie plötzlich unwichtig werden.
Herburger läuft über Ermüdungsbrüche drüber, daß es eine Freude ist. Da rennt einer wunderbar farbig schildernd durch Südafrika und beschreibt den Schlußspurt dann so:
"Kapellen musizierten, Glocken läuteten, Zimbeln und Maultrommeln ertönten. Immer mehr Läufer, wieder auferstanden, rückten zusammen, sich gegenseitig stützend und anfeuernd. Unruhe griff um sich, Hast brandete voran, die mitriss, während unerwartet afrikanische Nacht über die heillose Herde fiel, noch einen Hang hinunter und durch von vielen Füßen getretenen Grassumpf stampfend, Erschöpfte im Schlepp oder getragen, schließlich gegen ein Gittertor prallte, hinter dem mit verschränkten Armen uniformierte Wächter sich aufgepflanzt hatten. Dort hingen und knieten wir, flehten um Einlass. Unerbittlich war nach elf Stunden um fünf Uhr abends das Ziel geschlossen worden." (aus: Durban, 87km)
Langstreckenlauf als Übung in Vergeblichkeit. Kein Triumph, nirgends. Heldentum oder Leistung irgendeiner unpoetischen Art auch nicht. Selbstbeweihräucherung erst recht nicht, aber auch kein Selbstmitleid. Hier wird gelaufen, weil gelaufen werden muß, damit einer das Leben aushält, auf der Jagd nach "dem begehrenswerten Zustand einer Verschmelzung von Körper und Geist", wie der Klappentext etwas gequollen sagt. (_Das_ kann man ja auch einfacher haben: siehe [1] Am nächsten kommt er diesem Ziel bei der Beschreibung seiner Wüstenläufe: "Der Sänderlauf" über den M. des Sables, "Petra" und "Sinai".
Auch wenn Herburger seinen Leser des öfteren mäandrierend abhängt - ich finde es faszinierend, wie jemand das Laufen eben so aufs Laufen reduzieren kann. Mir selbst fällt ja der Verzicht auf die (Puls-)Uhr schon schwer.
Die Geschichten entwickeln einen ziemlichen Sog, atmosphärisch hochverdichtet, fesselnd zu lesen, wenn man sich drauf einläßt und Herburger nicht ohnehin gleich als halluzinierenden Ultrakranken oder arme, getriebene Sau abstempelt. Nicht ganz leichte Kost, aber lesenswert.
Wer neugierig geworden ist, möge sich das Buch in der Buchhandlung seines Vertrauens zur Ansicht bestellen und zB das Kapitel "Durban" mal sorgfältig probelesen - Herburgers Stil ist sicher nicht jedermanns Sache, denn er ist manchmal /schon/ anstrengend. Etwas mehr Lektorat hätte dem Buch vielleicht nicht geschadet.
Wer zufällig noch ein Exemplar der Bände "Lauf und Wahn" oder "Traum und Bahn" im Regal stehen hat und es gerne loswerden möchte, der maile mir.
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2005-09-16 08:04:41 : Schlaf_und_Strecke : von DerVerfolgte [admin:restore]
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Titel: Schlaf und Strecke
Autor: Günter Herburger
Jahr, Verlag, Ort: A1 Verlag München, 2004
ISBN: 3-927743-74-7 |
Diese Rezension passt wohl nur bedingt in die bisherigen Rezensionen auf www.drsl.de - hier geht es eher um Literatur als um Training. Aber wenn Joschka darf, dann Herburger auch.
Herburgers Birne-Bücher (Birne brennt durch und andere) waren 70er-Jahre-Bücher meiner Kindheit, mittlerweile ist der Mann 72 Jahre alt und läuft seit 1983 Marathons und Ultras, schreibt darüber und lebt davon.
Wieder auf Herburger aufmerksam geworden bin ich durch ein SZ-Interview mit ihm, das ich ziemlich sympathisch, einigermaßen durchgeknallt und völlig drsl-inkompatibel fand. Inkompatibel zur Beschäftigung mit dem Laufen unter dem Aspekt von PB, Splits, Schuhen, HFmax, Training, VWKGJ und all dem was drsl* so abwechslungsreich macht.
"Schlaf und Strecke" ist der dritte Band mit Herburgers Laufberichten nach "Lauf und Wahn" (1988) und "Traum und Bahn" (1994), beide leider vergriffen. Der aktuelle Band enthält ca. 30 Laufberichte von Läufen zwischen Riga und Durban, zwischen Los Angeles und La Réunion.
Je nun. Der läuft und schreibt darüber. Das tun wir hier ja auch. Der schreibt Laufberichte, einen nach dem anderen. (Das werd ich auch tun, wenn ich mal meinen ersten WK gelaufen bin, versprochen.) Herburger benutzt leider nicht die drsl-Template, es wird manchmal, aber längst nicht immer, wenigstens die Länge des Laufes im Text erwähnt; mit seinen eigenen Zeiten ist der Verfasser noch bescheidener, sie stehen selten mal irgendwo in Klammern am Ende eines Textes.
Ähnlich wenig Aufhebens wird gemacht um "Training" oder "passendes Schuhwerk". Dazu ein Zitat, so ungefähr eines der technischsten in dem Buch- weil es eben mal um Schuhe geht:
"Wir holperten durch Straßen, die in der Hitze leicht anzusteigen schienen. Meine Schuhe waren zu eng, begannen zu scheuern. Nachdem ich einen Barfußläufer überholt hatte, zog ich sie aus und gab sie ihm, denn junge Amerikaner, die Prospekte einer christlichen Sekte an das Publikum verteilten, trugen sportliche Markenartikel an den Füßen, und einer der Büßer war, als er mich in Socken sah, erfreut, mir seine Schuhe schenken zu dürfen, die genügend Raum boten für quellendes Gedeihen." (aus: Riga, 4:28:25)
Dagegen gibt es einen Fluß von Poesie der entrückteren und bisweilen - zugegeben - leicht überspannten Sorte. Da wird gegen Depressionen an- oder vor ihnen davongelaufen, da gibt es einiges an Licht und auch sehr viel Dunkelheit, wirkliche und seelische. Da werden 7-Tages-Läufe mal eben abgebrochen, weil sie plötzlich unwichtig werden.
Herburger läuft über Ermüdungsbrüche drüber, daß es eine Freude ist. Da rennt einer wunderbar farbig schildernd durch Südafrika und beschreibt den Schlußspurt dann so:
"Kapellen musizierten, Glocken läuteten, Zimbeln und Maultrommeln ertönten. Immer mehr Läufer, wieder auferstanden, rückten zusammen, sich gegenseitig stützend und anfeuernd. Unruhe griff um sich, Hast brandete voran, die mitriss, während unerwartet afrikanische Nacht über die heillose Herde fiel, noch einen Hang hinunter und durch von vielen Füßen getretenen Grassumpf stampfend, Erschöpfte im Schlepp oder getragen, schließlich gegen ein Gittertor prallte, hinter dem mit verschränkten Armen uniformierte Wächter sich aufgepflanzt hatten. Dort hingen und knieten wir, flehten um Einlass. Unerbittlich war nach elf Stunden um fünf Uhr abends das Ziel geschlossen worden." (aus: Durban, 87km)
Langstreckenlauf als Übung in Vergeblichkeit. Kein Triumph, nirgends. Heldentum oder Leistung irgendeiner unpoetischen Art auch nicht. Selbstbeweihräucherung erst recht nicht, aber auch kein Selbstmitleid. Hier wird gelaufen, weil gelaufen werden muß, damit einer das Leben aushält, auf der Jagd nach "dem begehrenswerten Zustand einer Verschmelzung von Körper und Geist", wie der Klappentext etwas gequollen sagt. (_Das_ kann man ja auch einfacher haben: siehe [1] Am nächsten kommt er diesem Ziel bei der Beschreibung seiner Wüstenläufe: "Der Sänderlauf" über den M. des Sables, "Petra" und "Sinai".
Auch wenn Herburger seinen Leser des öfteren mäandrierend abhängt - ich finde es faszinierend, wie jemand das Laufen eben so aufs Laufen reduzieren kann. Mir selbst fällt ja der Verzicht auf die (Puls-)Uhr schon schwer.
Die Geschichten entwickeln einen ziemlichen Sog, atmosphärisch hochverdichtet, fesselnd zu lesen, wenn man sich drauf einläßt und Herburger nicht ohnehin gleich als halluzinierenden Ultrakranken oder arme, getriebene Sau abstempelt. Nicht ganz leichte Kost, aber lesenswert.
Wer neugierig geworden ist, möge sich das Buch in der Buchhandlung seines Vertrauens zur Ansicht bestellen und zB das Kapitel "Durban" mal sorgfältig probelesen - Herburgers Stil ist sicher nicht jedermanns Sache, denn er ist manchmal /schon/ anstrengend. Etwas mehr Lektorat hätte dem Buch vielleicht nicht geschadet.
Wer zufällig noch ein Exemplar der Bände "Lauf und Wahn" oder "Traum und Bahn" im Regal stehen hat und es gerne loswerden möchte, der maile mir.
fdrechsel despammed com
2005-09-16 08:04:15 : Schlaf_und_Strecke : von DerVerfolgte [admin:restore]
Rezensent: Florian Drechsel "fdrechsel@despammed.com"
Titel: Schlaf und Strecke
Autor: Günter Herburger
Jahr, Verlag, Ort: A1 Verlag München, 2004
ISBN: 3-927743-74-7 |
Diese Rezension passt wohl nur bedingt in die bisherigen Rezensionen auf www.drsl.de - hier geht es eher um Literatur als um Training. Aber wenn Joschka darf, dann Herburger auch.
Herburgers Birne-Bücher (Birne brennt durch und andere) waren 70er-Jahre-Bücher meiner Kindheit, mittlerweile ist der Mann 72 Jahre alt und läuft seit 1983 Marathons und Ultras, schreibt darüber und lebt davon.
Wieder auf Herburger aufmerksam geworden bin ich durch ein SZ-Interview mit ihm, das ich ziemlich sympathisch, einigermaßen durchgeknallt und völlig drsl-inkompatibel fand. Inkompatibel zur Beschäftigung mit dem Laufen unter dem Aspekt von PB, Splits, Schuhen, HFmax, Training, VWKGJ und all dem was drsl* so abwechslungsreich macht.
"Schlaf und Strecke" ist der dritte Band mit Herburgers Laufberichten nach "Lauf und Wahn" (1988) und "Traum und Bahn" (1994), beide leider vergriffen. Der aktuelle Band enthält ca. 30 Laufberichte von Läufen zwischen Riga und Durban, zwischen Los Angeles und La Réunion.
Je nun. Der läuft und schreibt darüber. Das tun wir hier ja auch. Der schreibt Laufberichte, einen nach dem anderen. (Das werd ich auch tun, wenn ich mal meinen ersten WK gelaufen bin, versprochen.) Herburger benutzt leider nicht die drsl-Template, es wird manchmal, aber längst nicht immer, wenigstens die Länge des Laufes im Text erwähnt; mit seinen eigenen Zeiten ist der Verfasser noch bescheidener, sie stehen selten mal irgendwo in Klammern am Ende eines Textes.
Ähnlich wenig Aufhebens wird gemacht um "Training" oder "passendes Schuhwerk". Dazu ein Zitat, so ungefähr eines der technischsten in dem Buch- weil es eben mal um Schuhe geht:
"Wir holperten durch Straßen, die in der Hitze leicht anzusteigen schienen. Meine Schuhe waren zu eng, begannen zu scheuern. Nachdem ich einen Barfußläufer überholt hatte, zog ich sie aus und gab sie ihm, denn junge Amerikaner, die Prospekte einer christlichen Sekte an das Publikum verteilten, trugen sportliche Markenartikel an den Füßen, und einer der Büßer war, als er mich in Socken sah, erfreut, mir seine Schuhe schenken zu dürfen, die genügend Raum boten für quellendes Gedeihen." (aus: Riga, 4:28:25)
Dagegen gibt es einen Fluß von Poesie der entrückteren und bisweilen - zugegeben - leicht überspannten Sorte. Da wird gegen Depressionen an- oder vor ihnen davongelaufen, da gibt es einiges an Licht und auch sehr viel Dunkelheit, wirkliche und seelische. Da werden 7-Tages-Läufe mal eben abgebrochen, weil sie plötzlich unwichtig werden.
Herburger läuft über Ermüdungsbrüche drüber, daß es eine Freude ist. Da rennt einer wunderbar farbig schildernd durch Südafrika und beschreibt den Schlußspurt dann so:
"Kapellen musizierten, Glocken läuteten, Zimbeln und Maultrommeln ertönten. Immer mehr Läufer, wieder auferstanden, rückten zusammen, sich gegenseitig stützend und anfeuernd. Unruhe griff um sich, Hast brandete voran, die mitriss, während unerwartet afrikanische Nacht über die heillose Herde fiel, noch einen Hang hinunter und durch von vielen Füßen getretenen Grassumpf stampfend, Erschöpfte im Schlepp oder getragen, schließlich gegen ein Gittertor prallte, hinter dem mit verschränkten Armen uniformierte Wächter sich aufgepflanzt hatten. Dort hingen und knieten wir, flehten um Einlass. Unerbittlich war nach elf Stunden um fünf Uhr abends das Ziel geschlossen worden." (aus: Durban, 87km)
Langstreckenlauf als Übung in Vergeblichkeit. Kein Triumph, nirgends. Heldentum oder Leistung irgendeiner unpoetischen Art auch nicht. Selbstbeweihräucherung erst recht nicht, aber auch kein Selbstmitleid. Hier wird gelaufen, weil gelaufen werden muß, damit einer das Leben aushält, auf der Jagd nach "dem begehrenswerten Zustand einer Verschmelzung von Körper und Geist", wie der Klappentext etwas gequollen sagt. (_Das_ kann man ja auch einfacher haben: siehe [1] Am nächsten kommt er diesem Ziel bei der Beschreibung seiner Wüstenläufe: "Der Sänderlauf" über den M. des Sables, "Petra" und "Sinai".
Auch wenn Herburger seinen Leser des öfteren mäandrierend abhängt - ich finde es faszinierend, wie jemand das Laufen eben so aufs Laufen reduzieren kann. Mir selbst fällt ja der Verzicht auf die (Puls-)Uhr schon schwer.
Die Geschichten entwickeln einen ziemlichen Sog, atmosphärisch hochverdichtet, fesselnd zu lesen, wenn man sich drauf einläßt und Herburger nicht ohnehin gleich als halluzinierenden Ultrakranken oder arme, getriebene Sau abstempelt. Nicht ganz leichte Kost, aber lesenswert.
Wer neugierig geworden ist, möge sich das Buch in der Buchhandlung seines Vertrauens zur Ansicht bestellen und zB das Kapitel "Durban" mal sorgfältig probelesen - Herburgers Stil ist sicher nicht jedermanns Sache, denn er ist manchmal /schon/ anstrengend. Etwas mehr Lektorat hätte dem Buch vielleicht nicht geschadet.
Wer zufällig noch ein Exemplar der Bände "Lauf und Wahn" oder "Traum und Bahn" im Regal stehen hat und es gerne loswerden möchte, der maile mir.
fdrechsel despammed com
2005-06-14 21:20:00 : Schlaf_und_Strecke : von DerVerfolgte [admin:restore]
Rezensent: Florian Drechsel "fdrechsel@despammed.com"
Titel: Schlaf und Strecke
Autor: Günter Herburger
Jahr, Verlag, Ort: A1 Verlag München, 2004
ISBN: 3-927743-74-7 |
Diese Rezension passt wohl nur bedingt in die bisherigen Rezensionen auf www.drsl.de - hier geht es eher um Literatur als um Training. Aber wenn Joschka darf, dann Herburger auch.
Herburgers Birne-Bücher (Birne brennt durch und andere) waren 70er-Jahre-Bücher meiner Kindheit, mittlerweile ist der Mann 72 Jahre alt und läuft seit 1983 Marathons und Ultras, schreibt darüber und lebt davon.
Wieder auf Herburger aufmerksam geworden bin ich durch ein SZ-Interview mit ihm, das ich ziemlich sympathisch, einigermaßen durchgeknallt und völlig drsl-inkompatibel fand. Inkompatibel zur Beschäftigung mit dem Laufen unter dem Aspekt von PB, Splits, Schuhen, HFmax, Training, VWKGJ und all dem was drsl* so abwechslungsreich macht.
"Schlaf und Strecke" ist der dritte Band mit Herburgers Laufberichten nach "Lauf und Wahn" (1988) und "Traum und Bahn" (1994), beide leider vergriffen. Der aktuelle Band enthält ca. 30 Laufberichte von Läufen zwischen Riga und Durban, zwischen Los Angeles und La Réunion.
Je nun. Der läuft und schreibt darüber. Das tun wir hier ja auch. Der schreibt Laufberichte, einen nach dem anderen. (Das werd ich auch tun, wenn ich mal meinen ersten WK gelaufen bin, versprochen.) Herburger benutzt leider nicht die drsl-Template, es wird manchmal, aber längst nicht immer, wenigstens die Länge des Laufes im Text erwähnt; mit seinen eigenen Zeiten ist der Verfasser noch bescheidener, sie stehen selten mal irgendwo in Klammern am Ende eines Textes.
Ähnlich wenig Aufhebens wird gemacht um "Training" oder "passendes Schuhwerk". Dazu ein Zitat, so ungefähr eines der technischsten in dem Buch- weil es eben mal um Schuhe geht:
"Wir holperten durch Straßen, die in der Hitze leicht anzusteigen schienen. Meine Schuhe waren zu eng, begannen zu scheuern. Nachdem ich einen Barfußläufer überholt hatte, zog ich sie aus und gab sie ihm, denn junge Amerikaner, die Prospekte einer christlichen Sekte an das Publikum verteilten, trugen sportliche Markenartikel an den Füßen, und einer der Büßer war, als er mich in Socken sah, erfreut, mir seine Schuhe schenken zu dürfen, die genügend Raum boten für quellendes Gedeihen." (aus: Riga, 4:28:25)
Dagegen gibt es einen Fluß von Poesie der entrückteren und bisweilen - zugegeben - leicht überspannten Sorte. Da wird gegen Depressionen an- oder vor ihnen davongelaufen, da gibt es einiges an Licht und auch sehr viel Dunkelheit, wirkliche und seelische. Da werden 7-Tages-Läufe mal eben abgebrochen, weil sie plötzlich unwichtig werden.
Herburger läuft über Ermüdungsbrüche drüber, daß es eine Freude ist. Da rennt einer wunderbar farbig schildernd durch Südafrika und beschreibt den Schlußspurt dann so:
"Kapellen musizierten, Glocken läuteten, Zimbeln und Maultrommeln ertönten. Immer mehr Läufer, wieder auferstanden, rückten zusammen, sich gegenseitig stützend und anfeuernd. Unruhe griff um sich, Hast brandete voran, die mitriss, während unerwartet afrikanische Nacht über die heillose Herde fiel, noch einen Hang hinunter und durch von vielen Füßen getretenen Grassumpf stampfend, Erschöpfte im Schlepp oder getragen, schließlich gegen ein Gittertor prallte, hinter dem mit verschränkten Armen uniformierte Wächter sich aufgepflanzt hatten. Dort hingen und knieten wir, flehten um Einlass. Unerbittlich war nach elf Stunden um fünf Uhr abends das Ziel geschlossen worden." (aus: Durban, 87km)
Langstreckenlauf als Übung in Vergeblichkeit. Kein Triumph, nirgends. Heldentum oder Leistung irgendeiner unpoetischen Art auch nicht. Selbstbeweihräucherung erst recht nicht, aber auch kein Selbstmitleid. Hier wird gelaufen, weil gelaufen werden muß, damit einer das Leben aushält, auf der Jagd nach "dem begehrenswerten Zustand einer Verschmelzung von Körper und Geist", wie der Klappentext etwas gequollen sagt. (_Das_ kann man ja auch einfacher haben: siehe [1] Am nächsten kommt er diesem Ziel bei der Beschreibung seiner Wüstenläufe: "Der Sänderlauf" über den M. des Sables, "Petra" und "Sinai".
Auch wenn Herburger seinen Leser des öfteren mäandrierend abhängt - ich finde es faszinierend, wie jemand das Laufen eben so aufs Laufen reduzieren kann. Mir selbst fällt ja der Verzicht auf die (Puls-)Uhr schon schwer.
Die Geschichten entwickeln einen ziemlichen Sog, atmosphärisch hochverdichtet, fesselnd zu lesen, wenn man sich drauf einläßt und Herburger nicht ohnehin gleich als halluzinierenden Ultrakranken oder arme, getriebene Sau abstempelt. Nicht ganz leichte Kost, aber lesenswert.
Wer neugierig geworden ist, möge sich das Buch in der Buchhandlung seines Vertrauens zur Ansicht bestellen und zB das Kapitel "Durban" mal sorgfältig probelesen - Herburgers Stil ist sicher nicht jedermanns Sache, denn er ist manchmal /schon/ anstrengend. Etwas mehr Lektorat hätte dem Buch vielleicht nicht geschadet.
Wer zufällig noch ein Exemplar der Bände "Lauf und Wahn" oder "Traum und Bahn" im Regal stehen hat und es gerne loswerden möchte, der maile mir.
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2005-06-14 21:18:38 : Schlaf_und_Strecke : von DerVerfolgte [admin:restore]
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Rezensent: Florian Drechsel "fdrechsel@despammed.com"
Titel: Schlaf und Strecke
Autor: Günter Herburger
Jahr, Verlag, Ort: A1 Verlag München, 2004
ISBN: 3-927743-74-7 |
Diese Rezension passt wohl nur bedingt in die bisherigen Rezensionen auf www.drsl.de - hier geht es eher um Literatur als um Training. Aber wenn Joschka darf, dann Herburger auch.
Herburgers Birne-Bücher (Birne brennt durch und andere) waren 70er-Jahre-Bücher meiner Kindheit, mittlerweile ist der Mann 72 Jahre alt und läuft seit 1983 Marathons und Ultras, schreibt darüber und lebt davon.
Wieder auf Herburger aufmerksam geworden bin ich durch ein SZ-Interview mit ihm, das ich ziemlich sympathisch, einigermaßen durchgeknallt und völlig drsl-inkompatibel fand. Inkompatibel zur Beschäftigung mit dem Laufen unter dem Aspekt von PB, Splits, Schuhen, HFmax, Training, VWKGJ und all dem was drsl* so abwechslungsreich macht.
"Schlaf und Strecke" ist der dritte Band mit Herburgers Laufberichten nach "Lauf und Wahn" (1988) und "Traum und Bahn" (1994), beide leider vergriffen. Der aktuelle Band enthält ca. 30 Laufberichte von Läufen zwischen Riga und Durban, zwischen Los Angeles und La Réunion.
Je nun. Der läuft und schreibt darüber. Das tun wir hier ja auch. Der schreibt Laufberichte, einen nach dem anderen. (Das werd ich auch tun, wenn ich mal meinen ersten WK gelaufen bin, versprochen.) Herburger benutzt leider nicht die drsl-Template, es wird manchmal, aber längst nicht immer, wenigstens die Länge des Laufes im Text erwähnt; mit seinen eigenen Zeiten ist der Verfasser noch bescheidener, sie stehen selten mal irgendwo in Klammern am Ende eines Textes.
Ähnlich wenig Aufhebens wird gemacht um "Training" oder "passendes Schuhwerk". Dazu ein Zitat, so ungefähr eines der technischsten in dem Buch- weil es eben mal um Schuhe geht:
"Wir holperten durch Straßen, die in der Hitze leicht anzusteigen schienen. Meine Schuhe waren zu eng, begannen zu scheuern. Nachdem ich einen Barfußläufer überholt hatte, zog ich sie aus und gab sie ihm, denn junge Amerikaner, die Prospekte einer christlichen Sekte an das Publikum verteilten, trugen sportliche Markenartikel an den Füßen, und einer der Büßer war, als er mich in Socken sah, erfreut, mir seine Schuhe schenken zu dürfen, die genügend Raum boten für quellendes Gedeihen." (aus: Riga, 4:28:25)
Dagegen gibt es einen Fluß von Poesie der entrückteren und bisweilen - zugegeben - leicht überspannten Sorte. Da wird gegen Depressionen an- oder vor ihnen davongelaufen, da gibt es einiges an Licht und auch sehr viel Dunkelheit, wirkliche und seelische. Da werden 7-Tages-Läufe mal eben abgebrochen, weil sie plötzlich unwichtig werden.
Herburger läuft über Ermüdungsbrüche drüber, daß es eine Freude ist. Da rennt einer wunderbar farbig schildernd durch Südafrika und beschreibt den Schlußspurt dann so:
"Kapellen musizierten, Glocken läuteten, Zimbeln und Maultrommeln ertönten. Immer mehr Läufer, wieder auferstanden, rückten zusammen, sich gegenseitig stützend und anfeuernd. Unruhe griff um sich, Hast brandete voran, die mitriss, während unerwartet afrikanische Nacht über die heillose Herde fiel, noch einen Hang hinunter und durch von vielen Füßen getretenen Grassumpf stampfend, Erschöpfte im Schlepp oder getragen, schließlich gegen ein Gittertor prallte, hinter dem mit verschränkten Armen uniformierte Wächter sich aufgepflanzt hatten. Dort hingen und knieten wir, flehten um Einlass. Unerbittlich war nach elf Stunden um fünf Uhr abends das Ziel geschlossen worden." (aus: Durban, 87km)
Langstreckenlauf als Übung in Vergeblichkeit. Kein Triumph, nirgends. Heldentum oder Leistung irgendeiner unpoetischen Art auch nicht. Selbstbeweihräucherung erst recht nicht, aber auch kein Selbstmitleid. Hier wird gelaufen, weil gelaufen werden muß, damit einer das Leben aushält, auf der Jagd nach "dem begehrenswerten Zustand einer Verschmelzung von Körper und Geist", wie der Klappentext etwas gequollen sagt. (_Das_ kann man ja auch einfacher haben: siehe [1] Am nächsten kommt er diesem Ziel bei der Beschreibung seiner Wüstenläufe: "Der Sänderlauf" über den M. des Sables, "Petra" und "Sinai".
Auch wenn Herburger seinen Leser des öfteren mäandrierend abhängt - ich finde es faszinierend, wie jemand das Laufen eben so aufs Laufen reduzieren kann. Mir selbst fällt ja der Verzicht auf die (Puls-)Uhr schon schwer.
Die Geschichten entwickeln einen ziemlichen Sog, atmosphärisch hochverdichtet, fesselnd zu lesen, wenn man sich drauf einläßt und Herburger nicht ohnehin gleich als halluzinierenden Ultrakranken oder arme, getriebene Sau abstempelt. Nicht ganz leichte Kost, aber lesenswert.
Wer neugierig geworden ist, möge sich das Buch in der Buchhandlung seines Vertrauens zur Ansicht bestellen und zB das Kapitel "Durban" mal sorgfältig probelesen - Herburgers Stil ist sicher nicht jedermanns Sache, denn er ist manchmal /schon/ anstrengend. Etwas mehr Lektorat hätte dem Buch vielleicht nicht geschadet.
Wer zufällig noch ein Exemplar der Bände "Lauf und Wahn" oder "Traum und Bahn" im Regal stehen hat und es gerne loswerden möchte, der maile mir.
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2005-06-14 21:09:38 : Schlaf_und_Strecke : von DerVerfolgte [admin:restore]
Rezensent: Florian Drechsel "fdrechsel@despammed.com"
Titel: Schlaf und Strecke
Autor: Günter Herburger
Jahr, Verlag, Ort: A1 Verlag München, 2004
ISBN: 3-927743-74-7 |
Diese Rezension passt wohl nur bedingt in die bisherigen Rezensionen auf www.drsl.de - hier geht es eher um Literatur als um Training. Aber wenn Joschka darf, dann Herburger auch.
Herburgers Birne-Bücher (Birne brennt durch und andere) waren 70er-Jahre-Bücher meiner Kindheit, mittlerweile ist der Mann 72 Jahre alt und läuft seit 1983 Marathons und Ultras, schreibt darüber und lebt davon.
Wieder auf Herburger aufmerksam geworden bin ich durch ein SZ-Interview mit ihm, das ich ziemlich sympathisch, einigermaßen durchgeknallt und völlig drsl-inkompatibel fand. Inkompatibel zur Beschäftigung mit dem Laufen unter dem Aspekt von PB, Splits, Schuhen, HFmax, Training, VWKGJ und all dem was drsl* so abwechslungsreich macht.
"Schlaf und Strecke" ist der dritte Band mit Herburgers Laufberichten nach "Lauf und Wahn" (1988) und "Traum und Bahn" (1994), beide leider vergriffen. Der aktuelle Band enthält ca. 30 Laufberichte von Läufen zwischen Riga und Durban, zwischen Los Angeles und La Réunion.
Je nun. Der läuft und schreibt darüber. Das tun wir hier ja auch. Der schreibt Laufberichte, einen nach dem anderen. (Das werd ich auch tun, wenn ich mal meinen ersten WK gelaufen bin, versprochen.) Herburger benutzt leider nicht die drsl-Template, es wird manchmal, aber längst nicht immer, wenigstens die Länge des Laufes im Text erwähnt; mit seinen eigenen Zeiten ist der Verfasser noch bescheidener, sie stehen selten mal irgendwo in Klammern am Ende eines Textes.
Ähnlich wenig Aufhebens wird gemacht um "Training" oder "passendes Schuhwerk". Dazu ein Zitat, so ungefähr eines der technischsten in dem Buch- weil es eben mal um Schuhe geht:
"Wir holperten durch Straßen, die in der Hitze leicht anzusteigen schienen. Meine Schuhe waren zu eng, begannen zu scheuern. Nachdem ich einen Barfußläufer überholt hatte, zog ich sie aus und gab sie ihm, denn junge Amerikaner, die Prospekte einer christlichen Sekte an das Publikum verteilten, trugen sportliche Markenartikel an den Füßen, und einer der Büßer war, als er mich in Socken sah, erfreut, mir seine Schuhe schenken zu dürfen, die genügend Raum boten für quellendes Gedeihen." (aus: Riga, 4:28:25)
Dagegen gibt es einen Fluß von Poesie der entrückteren und bisweilen - zugegeben - leicht überspannten Sorte. Da wird gegen Depressionen an- oder vor ihnen davongelaufen, da gibt es einiges an Licht und auch sehr viel Dunkelheit, wirkliche und seelische. Da werden 7-Tages-Läufe mal eben abgebrochen, weil sie plötzlich unwichtig werden.
Herburger läuft über Ermüdungsbrüche drüber, daß es eine Freude ist. Da rennt einer wunderbar farbig schildernd durch Südafrika und beschreibt den Schlußspurt dann so:
"Kapellen musizierten, Glocken läuteten, Zimbeln und Maultrommeln ertönten. Immer mehr Läufer, wieder auferstanden, rückten zusammen, sich gegenseitig stützend und anfeuernd. Unruhe griff um sich, Hast brandete voran, die mitriss, während unerwartet afrikanische Nacht über die heillose Herde fiel, noch einen Hang hinunter und durch von vielen Füßen getretenen Grassumpf stampfend, Erschöpfte im Schlepp oder getragen, schließlich gegen ein Gittertor prallte, hinter dem mit verschränkten Armen uniformierte Wächter sich aufgepflanzt hatten. Dort hingen und knieten wir, flehten um Einlass. Unerbittlich war nach elf Stunden um fünf Uhr abends das Ziel geschlossen worden." (aus: Durban, 87km)
Langstreckenlauf als Übung in Vergeblichkeit. Kein Triumph, nirgends. Heldentum oder Leistung irgendeiner unpoetischen Art auch nicht. Selbstbeweihräucherung erst recht nicht, aber auch kein Selbstmitleid. Hier wird gelaufen, weil gelaufen werden muß, damit einer das Leben aushält, auf der Jagd nach "dem begehrenswerten Zustand einer Verschmelzung von Körper und Geist", wie der Klappentext etwas gequollen sagt. (_Das_ kann man ja auch einfacher haben: siehe [1] Am nächsten kommt er diesem Ziel bei der Beschreibung seiner Wüstenläufe: "Der Sänderlauf" über den M. des Sables, "Petra" und "Sinai".
Auch wenn Herburger seinen Leser des öfteren mäandrierend abhängt - ich finde es faszinierend, wie jemand das Laufen eben so aufs Laufen reduzieren kann. Mir selbst fällt ja der Verzicht auf die (Puls-)Uhr schon schwer.
Die Geschichten entwickeln einen ziemlichen Sog, atmosphärisch hochverdichtet, fesselnd zu lesen, wenn man sich drauf einläßt und Herburger nicht ohnehin gleich als halluzinierenden Ultrakranken oder arme, getriebene Sau abstempelt. Nicht ganz leichte Kost, aber lesenswert.
Wer neugierig geworden ist, möge sich das Buch in der Buchhandlung seines Vertrauens zur Ansicht bestellen und zB das Kapitel "Durban" mal sorgfältig probelesen - Herburgers Stil ist sicher nicht jedermanns Sache, denn er ist manchmal /schon/ anstrengend. Etwas mehr Lektorat hätte dem Buch vielleicht nicht geschadet.
Wer zufällig noch ein Exemplar der Bände "Lauf und Wahn" oder "Traum und Bahn" im Regal stehen hat und es gerne loswerden möchte, der maile mir.
2005-06-14 21:07:28 : Schlaf_und_Strecke : von DerVerfolgte [admin:restore]
Rezensent: Florian Drechsel "fdrechsel@despammed.com"
Titel: Schlaf und Strecke
Autor: Günter Herburger
Jahr, Verlag, Ort: A1 Verlag München, 2004
ISBN: 3-927743-74-7 |